Ein Souvenir aus dem revolutionären Paris

Objekte verbinden oft weit auseinander liegende Ereignisse und Vorgänge auf überraschende Weise miteinander. Spannende Verknüpfungen ergeben sich aus der Geschichte eines unscheinbaren Kupferstichs, der sich in der Porträtsammlung der Universitätsbibliothek befindet (Abb. 1).

Peter Ochs
Abb. 1: Peter Ochs-Vischer, Stadtschreiber (UBH Portr. BS Ochs P 1752, 9a)

Das Blatt führt uns ins revolutionäre Paris; es zeigt den vierzigjährigen Peter Ochs-Vischer (1752-1821) im Profil, wie wir der Schrift über dem Medaillon entnehmen können: «P[eter] Ochs. Chancellier de la République de Basle». Der Stich – 1791 in Paris entstanden – ist nicht gross. Das Porträtmedaillon hat einen Durchmesser von rund 5 cm. Der Abdruck des Plattenrandes auf dem Papier misst rund 7 mal 7 cm, das Blatt selbst nur rund 20 auf 12 cm. Aber der Stich wurde in einer speziellen, damals ganz neuen Technik hergestellt, wie wir am unteren Rand lesen können: «en 1791. Dess. p. Fouquet. gr. p. Chretien. inv. du physionotrace. – Cloître St honoré à Paris», d.h. «im Jahr 1791. Gezeichnet von Fouquet, gestochen von Chretien, Erfinder des Physionotrace – beim Kloster St. Honoré in Paris».

Gilles-Louis Chrétien (1754-1811) war königlicher Kammermusiker, aber auch talentierter Porträtzeichner und Stecher. 1786 entwickelte er in Versailles einen Apparat, den er «Physionotrace», d.h.  Physiognomiezeichner nannte. Der Physionotrace war ungefähr 1, 7 m hoch. Eine einzige zeitgenössische Zeichnung der Apparatur hat sich erhalten, die heute in der Bibliothèque National in Paris aufbewahrt wird (Abb. 2).

Physionotrace
Abb. 2: Physionotrace, gezeichnet von Edme Quenedey (BnF, Est.,Dc. 65b pet. fol.) Quelle: http://classes.bnf.fr/portrait/grande/ap051.htm

Der Apparat war eine Weiterentwicklung des Silhouettierstuhls, arbeitete aber rationeller dank der Verwendung einer Visierlupe und eines Pantographen. Der Physionotrace vereinfachte nicht nur die Herstellung von Porträtzeichnungen. Er machte zusätzlich die Übertragung der Porträtzeichnung auf eine Kupferplatte möglich, in stark verkleinertem Format. So konnte die ursprünglich massstabgetreue Zeichnung auf einfache Weise vervielfältigt werden. Die Herstellung war in verschiedene Arbeitsschritte gegliedert, die von verschiedenen Personen unabhängig voneinander ausgeführt werden konnten. So konnte Chrétien zahlreiche Kunden nacheinander in seinem Atelier zeichnen lassen, während er die in einem zweiten Arbeitsgang vom Physionotrace erstellten Druckplatten in einem weiteren Arbeitsgang überarbeiten und verfeinern konnte. Die Platte und die damit erstellten Abzüge standen dann für die Kunden zur Abholung bereit.

Neu waren auch die Werbetechniken von Chrétien. Er vermerkte auf der Zeichnung nicht nur den Namen von Zeichner und Stecher, sondern gab – und das war wirklich neu – auch die vollständige Geschäftsadresse an. Er benutzte den Begriff Physionotrace dabei wie einen Markennamen. So glich er aus, dass er dem Kunden mit dem Verkauf der Kupferplatte auch deren Verwertung überliess. Bis zu 2000 Abzüge waren möglich. Seit 1787 arbeitete Chrétien in Paris mit dem Miniaturisten Edme Quenedey (1756-1830) zusammen. Quenedey erstellte die Zeichnungen, Chrétien die Radierungen. Beide erlangten rasch grosse Popularität, nachdem einige bekannte Persönlichkeiten der literarischen Salons und politischen Clubs wie Madame de Staël, Marat oder Robespierre sich bei ihnen hatten porträtieren lassen. Rasch interessierten sich auch ausländische Reisende wie Peter Ochs-Vischer für sein Atelier. Seit Dezember 1789 zeichnete der Miniaturist Jean Fouquet (ca. 1761-1799) für Chrétien, nachdem Quenedey sich selbständig gemacht und ein eigenes Atelier eröffnet hatte.

Als Ochs sich von Fouquet porträtieren liess und die Stiche bestellte, war er eben erst zum «Chancellier de la République de Basle» gewählt worden, zum «Stadtschreiber der Stadtrepublik Basel». Am 29. April 1791 brach Peter Ochs zu seiner ersten offiziellen Mission in seiner neuen Funktion als Sekretär der Basler Regierung nach Paris auf. Dort verhandelte er in den folgenden Monaten sowohl mit der königlichen Verwaltung als auch mit der Nationalversammlung über Entschädigungsforderungen. Die Aufhebung der Zehnten im Elsass durch die Revolution hatte der Stadt Basel erhebliche Verluste zugefügt. Im Auftrag des Direktoriums der Kaufmannschaft verlangte er auch die Beseitigung der von der République eingeführten neuen Zölle im Elsass, die den Basler Handel hart trafen. Ochs erreichte zwar nichts Konkretes, nahm aber lebhaften Anteil an der revolutionären Aufbruchstimmung in Paris. Er erlebte während seines Aufenthalts aber auch den bedrohlichen Umschwung nach der Flucht des Königs, dessen Gefangennahme und Rückführung am 25. Juni 1791. Ochs verbrachte noch den ganzen Juli und August in Paris, bevor er nach Basel zurückkehrte.

Den Porträtstich benutzte er nach seiner Rückkehr nicht nur als Souvenir aus dem revolutionären Paris, das er seinen Freunden und Korrespondenten schenkte. Jahre später diente die Kupferplatte – sie hat sich im Staatsarchiv Basel-Stadt erhalten –, um den dritten Band seiner «Geschichte der Stadt und Landschaft Basel» zu schmücken, der 1819 in Basel bei Schweighauser gedruckt wurde, mehr als zwanzig Jahre nach Ochs’ Besuch in Paris und dem 1792 erschienenen zweiten Band. Es verwundert jedoch, dass er diesen dritten Band 1819 mit seinem alten vorrevolutionären Titel «Oberstzunftmeister» zeichnete und nicht mit seinem damaligen aktuellen Titel als «Deputat» oder «Staatsrat». Wollte er mit dem Souvenir aus dem revolutionären Paris und seinem alten Titel an seine revolutionären Überzeugungen erinnern?

sara.janner@unibas.ch

2 Antworten auf “Ein Souvenir aus dem revolutionären Paris”

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