Die Universitätsbibliothek Basel besitzt eines der wichtigsten Werke der deutschsprachigen Lexikografiegeschichte: Das Manuskript des zeitlebens nicht gedruckten Allgemeinen Deutschen Glossarium des Basler Theologen und Sprachforschers Johann Jacob Spreng (1699-1768). Bei Veröffentlichung wäre es das grösste deutschsprachige Wörterbuch des 18. Jahrhunderts geworden, stattdessen liegt es als Handschrift in über zwanzig dicken, selbstbeklebten Bänden und einer Unmenge an säuberlich geordneten Zettel im Magazin der UB.
In den letzten Jahren wurde der schlummernde Sprachschatz wachgeküsst und soll nun mit dem Ziel einer klassischen Druck- oder Onlinepublikation der Öffentlichkeit und Forschung zugänglich gemacht werden. Dies beinhaltet die konservatorische Behandlung des Manuskripts, die komplizierte Digitalisierung sowie die Transkription der ca. 100’000, in Sprengs säuberlicher Kurrent verfassten, Worteinträge – letztere wird von einem Team freiwilliger Transkribenten geleistet. Rückenwind für den Abschluss des Projekts sichert seit Anfang 2019 die grosszügige Projektförderung durch die Christoph Merian Stiftung.

Bijouxs aus der Transkibierstube!
Ein Blick auf das bisher Transkribierte zeigt, es handelt sich hier um ein eigenartiges, eigenwilliges Wörterbuch, das – wie man zu sagen versucht ist – den Charakter seines Verfassers spiegelt. Spreng verfolgte mit seinem verunmöglichten Opus magnum vielerlei Anliegen: Die Etablierung einer noch im Werden begriffenen deutschen Schriftsprache und deren lexikalischen Ausgestaltung; die Stärkung der deutschen Sprache als Wissenschaftssprache gegenüber Latein – Sprengs Glossar ist das erste, das als Beschreibungssprache seiner deutschen Lemmata Deutsch und nicht Latein wählt. Zudem ist Spreng, ein Germanist avant la lettre, der erste Professor an der Universität Basel, der Vorlesungen in deutscher Sprache hält.
Eine Herausforderung für den heutigen Leser stellt Sprengs Vorhaben dar, systematisch die Geschichte des deutschen Wortschatzes bis zu den frühesten Anfängen zurückverfolgen zu wollen und teils abenteuerliche etymologische Deutungen zu unternehmen. Neben älteren deutschen Sprachstufen werden daher auch verwandte Sprachen wie Keltisch, Holländisch, Isländisch, Englisch, Russisch u. v. m. beigezogen. Dies Jahrzehnte vor der Akzentuierung der indogermanischen These oder der wissenschaftlichen Aufstellung der deutschen Lautwandelsgesetze. In seiner rücksichtslos selbstsicheren Art teilt Spreng jeweils gegen seine Vorgänger und ihre Glossarien und Etymologien aus.

Nicht unwesentlich, so wird einem bald klar, ist Sprengs Verlangen, Geschichten zu erzählen. Anders sind seine narrativen, teils ausufernden Ausführungen, die sich in ihrer rohen Unbefangenheit vergnüglich von der späteren, standardisierten Wörterbuchprosa abheben, nicht zu erklären. Hier zum Eindruck eine kleine Kostprobe aus der Transkribentenstube:
lateinische Kunst, der Arsch (ars.) Keiser Fridrich, der Rohtbart, liesß viel Esel stellen, denen man Feigen in die lateinische Kunst gestossen, welcher Meiländer nun sein Leben erhalten, und nicht über die Klinge springen wollte, musßte mit dem Munde eine Feige herausbeissen. (Lehm. Bls. 508.)
urig, urch, lauter, ganz, dicht, ächt, fein; purus purus. Brot von urigem Weizen, d. i. ungemischt. Jch kan den Wein nicht urig trinken, ich trinke als auch nicht urig Wasser. ein uriger Schweizer, d. i. ein ganzer, wahrhafter, unverfälschter und den Ahnen gleicher Schweizer; an dem nichts ist, das einen rechten Schweizer nicht ausdrücke. Geschirre von urchem Gold und Silber. Dises Wort ist in den Schriften abgegangen, und gleichwol aus keiner Sprache zu ersetzen. Nur ist es noch beÿ den Schweizern im Gebrauche, beÿ denen es auch nicht eher, als ihr Kernwesen, d. i. nimmermehr, absterben soll.
Lügle, (das,) kleine Dienstlüge; mendaciunculum, mendacium officiosum.
hodenbrüchig bis an Hals, sprüchwörtlich gesagt von Einem, der sich überweibet hat, und seiner Frauen Knecht ist. (Seb. Frank.)
Lange Hare, kurzer Sinn; coma longa, animus brevis: Sprüchwort wider den Leichtsinn der Weiber.
sein Netz tröcknen, (figürl.) aufhören zu saufen.
*Sonne; Franz. Soleil, heisßt eine gewisse Blume in Kanada, die auf den Feldern der Wilden sehr gemein ist. Sie wächst Siben bis Acht Fusß hoch. Jhre Blume ist grosß, und hat viele Körner. Die Wilden kochen sie, und machen ein Oel daraus, womit sie sich die Hare beschmieren. (Gesch. der franz. Pflanzst. in Nordamer. Blts. 299.)
*Nachtschicht, ist die Arbeit der Bergleute, wenn sie zu Nacht anfahren. Solche Arbeiter werden dafür Nachtschichter genennet.
*Kameelschaf; Jlama, eine Art Lastschafe von sonderbarer Grösse und Stärke, mit erhabenem Kopf und Halse, wie die Kameele. Solche findet man nur in den amerikanischen Reichen Peru und Chili, und zwar von Zwo Gattungen, die Eine mit Wolle, die andere mit Haren versehen. Sie dauern alle Kälte aus, da sie hingegen in der Hitze leichtlich hinfallen und umkommen. Auch kosten sie wenig zu fütern, und werden zu disem Ende nur auf die Weide getrieben. Darfür ernähren und kleiden sich die Eigentümer von dieser Tiere Milch, Fleisch, Haren und Wolle. Jnsonderheit dienen sie Denselben anstatt des Lastviehes, vornemlich aber die harichten Kameelschafe, deren Eines Zween Zentner oder mehr zu tragen, und eine Reise von 150. Meilen über die wildesten Gebirge auszuhalten vermag, in welchem Falle aber man ihnen die Last um einen Drittel oder um die Hälfte zu erleichtern pfleget. (holländ. Plinius.)
Für Informationen zu Sprengs Wörterbuch siehe die folgenden Links:
– uninews
– youtube
Gabriel Schaffter, Spreng Glossarium: Koordination und Transkription, gabriel.schaffter@unibas.ch