Wie kommen Bücher eigentlich auf Plattformen wie e-rara für alle zugänglich ins Netz? Der Weg vom Buch zum Digitalisat läuft über verschiedene Stationen. In einer losen Blog-Serie sollen diese Stationen anhand der Digitalisierung des Basler Talmuds – einem der Schätze der UB Basel – dargestellt werden. In den ersten Beiträgen geht es um die Frage, warum gerade dieses Werk für die Digitalisierung ausgewählt wurde bzw. was der Talmud überhaupt ist. Danach verfolgt die Blog-Serie den Weg des Basler Talmuds über die zahlreichen Stationen bis ins Web – von der Bestandserhaltung, über die Digitalisierung bis zur Veröffentlichung.

Was ist der Talmud
Der Talmud ist Teil der Schriften der Rabbinen, welche nach den vergeblichen Aufständen gegen die Römer und inmitten der gewaltigen Umbrüche der Christianisierung des Imperium Romanum und weiterer religiöser Wirren, eine Art Gegenwelt-Verfassung und eine Enzyklopädie jüdischen Wissens zusammenstellten.
Die Mischna
Ein Teil des Talmuds ist die Mischna. Die Mischna (hebr. Lehre), wurde Anfang des 3. Jahrhunderts vollendet, sie ist ein Buch der Grundregeln zur Heiligung des Landes und seiner Bewohner. Anders als die hebräische Bibel (Tora), welche die Halacha (hebr. von gehen, meint Religionsgesetz) in den erzählerischen Rahmen der Geschichte Alt-Israels einbettet, ordnet die Mischna ihre Halacha nach sachlichen und logischen Kriterien. Sie ist hochgradig formalisiert und auf das nötigste reduziert. Sie besteht aus sechs Ordnungen. Mit der Mischna entwarfen die gelehrten Autoren inmitten des Chaos der Geschichte eine geordnete und logisch strukturierte Gegenwelt von Heiligkeit und Reinheit.
Tosefta und Midrasch
Obwohl das Projekt der Mischna eine bizarre Schönheit aufweist, erhob sich bald das Problem ihrer praktischen Anwendung. Mit dem knappen Telegrammstil und den Regeln ohne Begründungen konnte sich nicht jeder zufriedengeben. Darum begannen die Rabbinen Palästinas bereits im 3. Jahrhundert diese Lücken zu füllen. Sie schufen einen ersten Kommentar, welcher Begründungen, Zusatzmaterial und Alternativen beinhaltete. Er wurde in der logischen Struktur der Mischna angeordnet und Tosefta (aram. Ergänzung) genannt. Weiter schufen die Rabbinen eine neue Literaturform, den Midrasch (hebr. Nachforschung/Lehre, pl. Midraschim). Darin schlugen sie eine Brücke zwischen der Tora und der Mischna, indem sie ihre Halacha auf deren biblische Basis zurückführten. Dem Midrasch liegt nicht die Ordnung der Mischna, sondern ein biblischer Text zu Grunde. Ein Midrasch kann halachisch (gesetzlich) oder haggadisch (erzählerisch) sein und der grundlegende Bibeltext kann aus einem oder mehreren Büchern stammen.
Talmud
Den Höhepunkt an Umfang und Komplexität erreichte die rabbinische Literatur mit den beiden Talmudim (pl. für Talmud). Sowohl in Palästina als auch in «Babylonien» wurde an einem solchen Grossprojekt gearbeitet. Der Palästinische Talmud wird auch Jerusalemer Talmud genannt und wurde wahrscheinlich im 5. Jahrhundert vollendet. Die Grundfassung des Babylonischen Talmuds wurde im 6. Jahrhundert abgeschlossen. Er sollte sich gegenüber dem Palästinischen normativ durchsetzen.
Beide Talmudim beziehen sich wie Kommentare auf die Mischna und folgen ihrem Aufbau. Die Mischna wird Stück für Stück zitiert und mit Erläuterungen versehen, die als Gemara (Abschluss) bezeichnet werden. Es wäre aber falsch, die Talmudim als Kommentare zur Mischna zu bezeichnen.
Die beiden Talmudim unterscheiden sich in ihrem Inhalt und Umfang deutlich. Gründe dafür sind, dass der Babylonische Talmud über eine längere Zeit gewachsen ist, aber auch, dass die Midraschim in Palästina eine eigene Literaturgattung darstellten, während sie in Babylon in den Talmud integriert wurden. In den Babylonischen Talmud wurde auch Wissen weit über die Bibelkommentare hinweg integriert. Im Grunde wurde alles, was jüdische Gelehrte des Partherreichs vom 3. bis zum 6. Jahrhundert wussten und des Aufschreibens würdig empfanden – z.B. Heilkunde, Traumdeutung, Geografie, Astrologie – in den Babylonischen Talmud aufgenommen. Ein weiterer Grund für die ausufernde Länge des Werks sind die ursprünglich wohl aus didaktischen Gründen dargestellten Diskussionen, welche die in der Mischna getroffenen halachischen Entscheidungen einsichtig erscheinen lassen. Diese lassen sich auch im Jerusalemer Talmud finden, im Babylonischen Talmud entfaltete dieser Trend ein intensives Eigenleben, sodass der Diskurs alles andere überragt. Es handelt sich dabei um eine geradezu ausufernde und in ihrer internen Logik äusserst faszinierende Kette von Argumentationen. Darin werden jede Eventualität, jede Nuance und jede Eigentümlichkeit, welche von den Gelehrten entdeckt und von ihren Schülern tradiert wurde aufgenommen. So war es möglich von der Mischna, einer äusserst kurzen und präzise strukturierten Darstellung halachischer Statements, auf eine Enzyklopädie von fast 3000 Folioseiten zu kommen, welche ein scheinbar endloses Kontinuum intellektuellen Diskurses abbildet.
Der Aufbau einer Talmudseite
Mischna und Gemara bilden zusammen den Grundtext des Talmuds, dieser wurde aber weiterhin diskutiert, kommentiert und besprochen. Prominent wichtig wurde der Kommentar von Raschi. Weitere Kommentare, Tosafot genannt, wurden von seinen Schülern hinzugefügt. In der Mitte einer klassischen Talmudseite findet sich Mischna und Gemara, daneben, auf der Innenseite des Blattes der Kommentar von Raschi, gedruckt in Raschi-Schrift. Auf der Aussenseite des Blattes neben Mischna und Gemara befinden sich die Tosafot. Weiter sind in kleinen Angaben auf den Seiten weitere Verweise und Quellenangaben vermerkt. Der Talmud ist also von seiner Struktur her dialogisch aufgebaut und mit Verweisen und Quellenangaben bestückt, die das Lernen und Argumentieren unterstützen sollen.
Literatur:
Galley, Susanne: Das Judentum, Frankfurt am Main 2006.
Stemberger, Günter: Einleitung in Talmud und Midrasch, München 2011.
Zinvirt, Yaacov: Tor zum Talmud (Jüdisches Lehrhaus – lebendiges Judentum Band 1), Berlin 2009.
c.langenegger@unibas.ch