Am 21. Dezember jährt sich der Todestag des bedeutenden Philologen und Kulturhistorikers Wilhelm Wackernagel (1806-1869), vgl. uni news vom 20. Dezember 2019. Wackernagel war mit der UB als Geschenkgeber, als Benutzer und Erforscher ihrer Bestände sowie als Mitglied der Bibliothekskommission eng verbunden. Nach seinem Tode schenkte die Familie der UB seine rund 2800 Bände umfassende Fachbibliothek. Gleichzeitig äufneten die Familie und Freunde des Verstorbenen einen Fonds mit einem Startkapital von Fr. 20’882.40. Die UB wurde im Gegenzug verpflichtet, alljährlich für Fr. 500.- germanistische Fachliteratur anzuschaffen, wobei die Hälfte aus dem Wackernagelfonds, die andere von der UB aufgebracht werden sollte.

Geregelt war auch die Bearbeitung der Bibliothek. Bis 1871 sollte der germanistische Teil in den allgemeinen Bestand der UB eingeordnet werden, der Rest – eine Sammlung von Werken aus den verschiedensten Forschungsgebieten, die Wackernagels breit gefächerte Interessen widerspiegelt – geordnet und mit zwei Katalogen erschlossen werden, einem Autor/Titel-Katalog sowie einem Sachkatalog. Dieser Verpflichtung konnte nur teilweise und mit Verzögerungen nachgekommen werden. Der dafür angestellt Beamte deutscher Nationalität wurde im deutsch-französischen Krieg eingezogen und verwundet. Nach seiner Genesung vollendete er die Katalogisierung 1872. Allerdings liest man im Jahresbericht:
„Der Wackernagelbibliothek widmete sich mit rühmlicher Ausdauer und Einsicht Herr Hermann Loehnert […]. Die von ihm angefertigten Titelcopien (es mögen deren an die 3000 sein) sind nun alphabetisch geordnet in drei Zettelkästen zur Benützung aufgestellt und ermöglichen die sofortige Auffindung jedes in der Wackernagelbibliothek befindlichen Buches. Dass diese Büchersammlung noch nicht in unsere Bibliothek eingereiht ist, hat seinen zwingenden Grund in dem immer mehr sich geltend machenden Mangel an Platz. Haben wir doch die ganze Sammlung von Frau Bürgermeister Sarasin-Brunner einstweilen nirgend sonst unterzubringen vermocht, als auf dem Fussboden des Doublettensaales. Erst wenn uns, wie wir mit Zuversicht hoffen, einige neue Räume offen stehen, werden wir die Schätze Wackernagels mit unseren germanistischen Büchern vereinigen und systematisch aufstellen können; dann wird es auch möglich sein, noch mehreren andern provisorischen Aufstellungen, welche die Übersicht und die gute Ordnung nur erschweren, ein Ende zu machen.“
In den 1880er Jahren wurde ein neuer allgemeiner Zettelkatalog geplant und entsprechende Vorarbeiten in Angriff genommen, dazu gehörte, dass man die noch unbearbeiteten bzw. separat erschlossenen Bibliotheken in den allgemeinen Katalog einarbeitete, darunter auch die Wackernagelbibliothek. Man verzichtete darauf, die germanistischen Titel in den allgemeinen Bestand einzuarbeiten, sondern stellte die ganze Bibliothek unter der Signatur „Wack“ auf. Wenn heute die Nummern in dieser Signatur Lücken aufweisen, hat dies seinen Grund darin, dass man die meisten Dubletten aussortierte und an das germanistisch-romanische Seminar oder das historische Seminar weitergab. Einzelnes wurde auch verkauft.
Der wissenschaftliche Nachlass wurde z.T. ins Wackernagel-Familienarchiv im Staatsarchiv integriert, das seit 1877 von Wackernagels Sohn Rudolf geleitet wurde, z.T. ebenfalls an die UB übergeben (heute NL 88). Darin enthalten waren auch zahlreiche Handexemplare von Wackernagels Werken, in denen er Nachträge für allfällige Neuauflagen angebracht hatte. In den Jahren nach Wackernagels Tod wurde ein Teil dieser Nachträge in die dreibändige Neuausgabe seiner „Kleineren Schriften“ (1872-1874) eingearbeitet. 1873 edierte der damalige Oberbibliothekar Ludwig Sieber, ein Schüler Wackernagels, der auch bei der Herausgabe der Kleineren Schriften mitarbeitete, ausserdem aus dem Nachlass Wackernagels Vorlesung „Poetik, Rhetorik und Stilistik“.
1891 wurden die annotierten Handexemplare sowie andere Bücher mit zahlreichen Einträgen, rund 60 Titel, von der Familie nachträglich der UB geschenkt. Die in winziger, aber wunderbar lesbarer Schrift verfassten Marginalien zeigen, wie intensiv und akribisch Wackernagel sich auch nach erfolgter Publikation mit den Themen befasste.Diese annotierten Exemplare sollen in den nächsten Monaten auf der Plattform e-rara.ch online zugänglich gemacht werden. Auf den 21. Dezember 2019 hin werden folgende Titel aufgeschaltet:
- Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Litteratur, S. 341-400: Glossar für das XII.-XIV. Jahrh. (1830)
- Die Verdienste der Schweizer um die deutsche Litteratur (1833)
- Wörterbuch zu: Altdeutsches Lesebuch: Poesie und Prosa vom IV. bis zum XV. Jahrhundert 2. Aufl. 1839)
- Altfranzoesische Lieder und Leiche. Aus Handschriften zu Bern und Neuenburg. Mit grammatischen und litterarhistorischen Abhandlungen (1846)
- Der arme Heinrich Herrn Hartmanns von Aue und zwei jüngere Prosalegenden verwandten Inhaltes (1855)
- Die goldene Altartafel von Basel. Abbildung, Erklärung und Zeitbestimmung (1857); auch in Kleinere Schriften 1, 376-422
- Die Umdeutschung fremder Wörter (1861)
- Die Umdeutschung fremder Wörter (2. verb. Aufl. 1863); auch in Kleinere Schriften 3, 252-333
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