In einer Bibliothek wie der UB Basel, die seit 1460 existiert, haben sich mancherlei Dinge angesammelt. Gemeinhin denkt man dabei erst einmal an die breite Büchersammlung im Freihandmagazin, an die exquisite Handschriftenkollektion oder an die berühmten Inkunabeln hier im Haus. Viele dieser Bücher haben abenteuerliche Reise hinter sich, bis sie schliesslich an der UB Basel landeten. „Habent sua fata libelli“ – Bücher haben ihre Schicksale, so schrieb schon der römische Grammatiker Terentianus Maurus im 2. Jahrhundert. Doch neben den Büchern befinden sich an der UB Basel auch noch zahlreiche weitere Objekte und Gegenstände, die ebenfalls weite Wege hinter sich haben; unter anderem Aquarelle, Medaillen, Druckgrafiken, Fotos und sogar Totenmasken. Da die Provenienzforschung in Bibliotheken immer mehr zum Thema wird, wollen wir hier die spannende Geschichte einer eher unscheinbaren Skulptur eines Löwen auf einem kleinen Marmorsockel und ihren Weg kurz vorstellen.

Grösse, Format und vor allem das Gewicht lassen den Schluss zu, dass es sich bei der Löwenskulptur um einen Briefbeschwerer handelt. Stilistische Merkmale machen eine Entstehung im 19. Jahrhundert wahrscheinlich. Briefbeschwerer haben als Kunstobjekte eine über 350-jährige Tradition. Als Sammlerstücke und Dekorationsobjekt waren sie besonders im 19. Jahrhundert äussert beliebt. Bei Bürgertum und Adel fanden Briefbeschwerer aus Glas, die man in Murano bei Venedig herstellte, besondere Beachtung. Auch in der Literatur haben Briefbeschwerer einen festen Platz, dort dienen sie als beliebte Mordwaffe, wie in Dostojewskis letztem Roman „Die Brüder Karamasow„. Obwohl man der Löwenskulptur einen gewissen Charme nicht absprechen kann, ist sie nicht unbedingt von höchster künstlerischer Qualität. Spannend ist hingegen die kaum sichtbare Inschrift im Filz auf der Unterseite des Sockels mit folgendem Text: „Aus [dem] Besitz v[on] Jacob Grimm (1785-1863); Geschenk von Prof. Ernst Wölfflin, Nov. 1945„.
Dass die UB angeblich den Briefbeschwerer des berühmten Jacob Grimm, einen der Brüder Grimm und Mitverfasser des Grimmschen Wörterbuchs, besitzt, wäre alleine schon ein Blogbeitrag wert. Aber wie kam das Objekt nun auf die UB? Die Inschrift auf dem Sockel besagt, dass der Briefbeschwerer der Bibliothek von Prof. Ernst Wölfflin übergeben wurde. Dies wird wiederum bestätigt durch einen fast gleichlautenden Eintrag im Geschenkbuch der UB Basel. Dann verliert sich allerdings die Spur und wir können den Weg des Briefbeschwerers nur noch über Indizien verfolgen: Zuerst wäre da der letzte eindeutige Besitzer: Ernst Wölfflin, Augenarzt und Bruder des berühmten Kunsthistorikers Heinrich Wölfflins. Diese familiäre Verbindung ist wichtig, denn Heinrich Wölfflin war am Berliner Lehrstuhl für Kunstgeschichte Nachfolger von Hermann Friedrich Grimm, der wiederum der Neffe von Jacob Grimm war. Es wäre also durchaus möglich, dass Heinrich Wölfflin von seinem Kollegen und Vorgänger Hermann Friedrich Grimm den Briefbeschwerer erhalten hat. Über Heinrich Wölfflin gelangte der Briefbeschwerer an seinen Bruder Ernst. Dieser betätigte sich nämlich bei der Verteilung des Nachlasses seines Bruders an die verschiedensten Institutionen. So wird das Objekt schliesslich 1945 an die UB gelangt sein – als Nachtrag des schriftlichen Nachlasses Heinrich Wölfflins. Wie dem auch sei, der Löwe hat nun ein schönes Zuhause!
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