Von Julia Nastke und Tamara Hügli. In der Bestandserhaltung der Universitätsbibliothek Basel beschäftigen sich momentan drei Papierrestauratorinnen im Rahmen eines Entwicklungsprojektes mit dem Schadensbild des sogenannten Tintenfrasses (siehe auch Tintenfrassprojekt). Als Tintenfrass bezeichnet man den beschleunigten Abbau des Schriftträgers (vor allem Papier) durch eine unausgewogene Eisengallustinte.
Abb. 1: Nachlass der Familie Bernoulli, Sign. L la 18 (UB Basel, Bestandserhaltung 2013) Abb. 2: Nachlass der Familie Bernoulli mit sichtbarem x-Effekt durch Tintenfrass, aber ohne Fehlstellen. Sign. L la 727 (UB Basel, Bestandserhaltung 2020)
Dies kann im schlimmsten Fall zum Herausbrechen der betroffenen Bereiche und damit zum totalen Informations- und Materialverlust führen. Eisengallustinten wurden während eines langen Zeitraums, von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, verwendet. Daraus lässt sich schnell folgern, dass eine Vielzahl der handschriftlichen Bestände der UB Basel betroffen sind, unter anderem beispielsweise auch Werke aus dem Nachlass der Mathematikerfamilie Bernoulli (Abb.1 und 2) und mittelalterliche Manuskripte aus der Basler Kartause.
Um ein genaueres Verständnis für die vorhandenen oder voranschreitenden Tintenfrassschäden zu erlangen, ist eine intensive Auseinandersetzung in Verbindung mit Untersuchungen der betroffenen Objekte nötig. Nur detaillierte Kenntnisse über die Zusammensetzung der Materialien machen möglich, dass deren Alterungsprozesse nachvollzogen und möglichst verlangsamt werden können. Dazu gehört sowohl eine optische Begutachtung der Objekte als auch die Analytik der stofflichen Zusammensetzung. Eine belastbare Aussage über Letzteres ist eigentlich nur über Probeentnahmen und Proben zerstörende Analysen in geeigneten externen Laboren möglich. Probenentnahmen kommen jedoch bei den wertvollen Bibliotheksbeständen der UB nicht in Frage. Deshalb hat man sich für die Arbeit mit dem SurveNIR-System entschieden, mit dem sehr schnell, selbstständig und vor allem zerstörungsfrei Messungen erstellt werden können.
Was ist also das SurveNIR-System? Im Namen versteckt sich schon die massgebliche Funktion: Es handelt sich um ein NIR- (Nah-Infrarot) Spektrometer mit dazugehöriger Software und spezifischen Applikationen (Abb.3). Bei einer Messung wird ein Lichtstrahl mit 3-4 mm Durchmesser auf den betreffenden Papierbereich gerichtet und gemessen, welche Lichtwellen absorbiert bzw. reflektiert werden (Abb.4). Die dabei entstehenden Werte im Wellenlängenbereich von 800–2.500 nm werden als Spektren dargestellt, die Rückschlüsse auf die Papierzusammensetzung zulassen (Abb.5). Die dazugehörige Software-Applikation des SurveNIRs gleicht diese Spektren dann mit einer integrierten Datenbank ab, die wiederum auf Referenzproben basiert, deren genaue Zusammensetzung zerstörend analysiert wurde.
Abb. 3: Das SurveNIR System (UB Basel, Bestandserhaltung 2020) Abb. 4: Messung mit dem SurveNIR (UB Basel, Bestandserhaltung 2020)
Um die Messungen korrekt durchführen und interpretieren zu können, ist ein gutes Verständnis für die Funktionsweise und die integrierte Software nötig. Dafür wurden vier Mitarbeiterinnen der Bestandserhaltung von Herrn Lichtblau, dem Entwickler des Gerätes, in der Bedienung des Systems geschult. Dabei ging es neben der korrekten Bedienung auch um die zugrundeliegende Technik und angewendeten statistischen Methoden der Chemometrik, die hinter dem System stecken. Ausserdem war es möglich, einen seltenen Blick in das Gerät zu werfen, und viele wertvolle Erfahrungsberichte aus der Praxis zu hören, da das SurveNIR bereits in einigen anderen Institutionen international zur Anwendung kommt. Nach der Schulung konnten wir die beschriebenen Spektren auch schon ein wenig besser interpretieren, denn bestimmte Peaks in der Kurve weisen auf bestimmte Elemente oder chemische Verbindungen hin. Vielleicht können Sie den von Herrn Lichtblau so bezeichneten «Elefantenkopf» auch erkennen (Abb.5 und 7)? Er gibt zum Beispiel Aufschluss darüber, ob das gemessene Papier viel oder wenig Lignin und damit saure Anteile enthält.


Für die Arbeit in der Bestandserhaltung ist das SurveNIR äusserst hilfreich und praktisch. Die NIR-Spektrometrie kann unkompliziert und schnell durchgeführt werden, ohne dass das Papier geschädigt wird. Das Objekt wird dafür vorsichtig auf dem Messfenster positioniert, mit einem Fusspedal oder per Mausklick wird die Messung ausgelöst. Die Messresultate geben unter anderem Auskunft über den Säuregehalt, die Festigkeit, Ligningehalt, Füllstoffe und Leimung des Papiers (Abb.5 rechts unten). Es können sowohl einzelne Papiere als auch Bücher und Broschuren analysiert werden.
Das Gerät kann sehr vielseitig verwendet werden: Neben der Anwendung im Tintenfrassprojekt kann es allgemein hilfreiche Informationen für eine Zustandserfassung eines grösseren Bestands liefern und damit massgeblich zur Abschätzung und Planung des konservatorisch-restauratorischen Bedarfs beitragen. Neben der Applikation für historische Papiere enthält das Gerät ausserdem auch solche für Filmträger und Kunststoffe, die es unter anderem ermöglichen, Verpackungsmaterialien oder die Grundbestandteile von Fotonegativen, wie z.B. Cellulosenitrat, zu identifizieren. Dadurch können auch in diesem Materialbereich Aufbewahrung und konservatorische Massnahmen den Objektanforderungen besser angepasst werden.
Im Tintenfrassprojekt wird das SurveNIR-System in nächster Zeit angewendet, um die betroffenen Bestände genauer kennenzulernen, damit wir die weiteren Schritte planen und auch kalkulieren können. Erkenntnisse daraus werden in weiteren Blogbeiträgen folgen.

julia.nastke@unibas.ch und t.huegli@unibas.ch
2 Antworten auf “Über Nahinfrarot-Spektrometrie, Tintenfrass und Elefantenköpfe”