Sie haben was für sich, diese alten Fotos mit ihrer Patina. Ein Hauch von vergangenem Glanz vielleicht? Fotografien der alten UB, gebaut von Emanuel LaRoche, fertiggestellt anno 1896, lassen den Betrachter meistens seufzen und fragen, wieso man denn diese schöne Bibliothek ab 1959 etappenweise abgerissen hat. Erste Pläne für eine Erweiterung der bestehenden UB existierten bereits in den dreissiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der Zweite Weltkrieg legte schliesslich alle Ideen und Entwürfe ad acta. Anno 1948 nahm man sich der UB wieder an und zehn Jahre später wurde der für damalige Verhältnisse grosszügige Kredit von fast 10 Millionen Franken für einen Neubau bewilligt. 1968 war es denn soweit: der Neubau wurde eröffnet. Ein Neubau war auch nötig, denn in den über 70 Jahren, von 1896 bis 1968, hatte sich in den Bibliotheken vieles verändert…

Die 10 Commadements der Bibliotheksarchitektur und die Professionalisierung des Bibliothekswesens
Das ewige Platzproblem. Auch von 1896 bis 1968 wuchsen die Bestände kontinuierlich und immer schneller. Bereits in den dreissiger Jahren waren die Magazine übervoll. Ebenso stieg die Zahl der Studierenden kontinuierlich. Die alte UB konnte somit nicht mehr Schritt halten mit der Menge an Büchern und der Anzahl Studierenden. Ein weiteres Faktum kam neben diesen altbekannten Problemen hinzu: Nach der Jahrhundertwende hatte sich die Bibliothekswelt Schritt für Schritt gewandelt und professionalisiert. Alles Umstände, die sich auf die Architektur auswirkten: Spezialmagazine mit Klimaanlagen, Ausstellungsräume, gesonderte Lesesäle für die Sondersammlungen, eine hauseigene Bestandeserhaltung, neue Büros für die Medienbearbeitung, grössere Zettelkataloge, usw. Neue Organisationseinheiten beim Personal etablierten sich – was wiederum neue Räume unabdingbar machte. Die Bibliothek war zum komplexen Organismus als Unterstützerin für Lehre und Forschung geworden – was sie noch heute ist.
So ist es nur konsequent, dass in den 60igern und frühen 70igern überall Bibliotheken in die Höhe schossen. Um den neuen Anforderungen ein architektonisches Konzept entgegen zuhalten, entwickelte der Architekt Harry Faulkner-Brown in den 70igern seine ten Commandements des Bibliotheksbau. Sie lauten: Flexibilität im Grundriss und in der Raumaufteilung, Kompaktheit der Wege für Personal und Nutzer, einfache Zugänglichkeit, Erweiterungsfähigkeit des Baus, Veränderbarkeit der Räume, gut organisiert, bequem, konstant, sicher, wirtschaftlich. Die UB Basel, kurz vor dem berühmten Text von Faulkner-Browen gebaut, folgt einigen Anforderungen, andere wiederum wurden ausser Acht gelassen; doch dazu später.

Was ist nun mit dem UB Neubau aus dem Jahre 1968?
Nach der Kreditbewilligung des Kantons fand eine Ausschreibung für die neue UB statt, die der international angesehene Architekt Otto Senn gewann. Sein Neubau verschrieb sich dem damals vorherrschenden Baustil des sogenannten Funktionalismus. Diese Stilrichtung hat einerseits die Überwindung jeglicher Dekorationselemente zum Ziel, so dass sich die Bauform komplett der Funktion unterordnet. Ebenfalls sind die Ideen von Faulkner-Brown und die Stilrichtung des Funktionalismus in vielen Eigenschaften deckungsgleich, insbesondere beim Punkt Flexibilität: Räume sollte sich jederzeit an neue Bedürfnisse anpassen können, was Senn für damalige Zeit an spezifischen Raumkonstellationen vorbildlich umsetzte, insbesondere beim Kopfbau. Sein Entwurf gilt heute als Paradebeispiel für den Funktionalismus der 60iger Jahre, die charakteristische Kuppel ist noch immer in Zeitschriften, Zeitungen, Architekturjournalen oder in Blogs ein beliebtes Sujet.

1968 – Studentenunruhen und die neue UB
Die Eröffnung der „neuen“ UB von Senn fiel im Jahr 1968 zusammen mit den vorwiegend in Deutschland und Frankreich stattfindenden Studentenunruhen. Die Kritik richtete sich gegen die konservative Nachkriegspolitik und die starren Strukturen an den Universitäten. Was an dieser Stelle interessieren soll ist, dass die Unruhen auch die Bibliotheksarchitektur beeinflussten: So standen (insbesondere bei den neuen Reformuniversitäten wie Konstanz) Magazine nach 68 nicht mehr nur den Professoren zur Begehung offen, sondern auch den Studierenden. Kaffees zur Verpflegung entwickelten sich zu einem integralen Bestandteil von Bibliotheken und verschiedene Lernräume wurden zum Standard. In Basel verliefen die Unruhen, wenn man diese überhaupt so nennen kann, äusserst gemässigt. Die Studierenden verlangten mehr Recht auf Mitbestimmung, der Mittelbau fairere Arbeitskonditionen und eine Verjüngung des Professorenapparats. Just in dieser Zeit öffnete die neue UB also ihre Pforten. Architektonischen ist der Senn-Bau ein Kind beider Strömungen – einer konservativen und zugleich einer avantgardistischen der 68iger Zeit: Konservativ war zum Beispiel das heutige UB Freihandmagazin, das lange nur Professoren und Professorinnen über einen eigenen Professorenlesesaal zugänglich (heute der sogenannte Speziallesesaal) war. Doktorandinnen und Doktoranden hatten ebenfalls einen eigenen Lesesaal für sich. Modern war damals hingegen der Einbau eines Kaffees. Die Professorenschaft wehrte sich allerdings kurz nach der Eröffnung vehement gegen das Kaffee, da die Studierenden bitte Lernen sollen und dies wohl kaum in beim Cappuccino geschehe – eine heute natürlich völlig überholte Meinung.

Und jetzt?
Man darf sagen, dass der „Senn-Bau“ seinen Zweck als Uni- und Kantonsbibliothek gut 50 Jahre erfüllte. Der Bau gilt heute National als schützenswert, der grosse Lesesaal ist nach wie vor für viele Absolventen der Uni Basel eine Ikone ihrer Studienzeit. Allerdings kam spätestens nach der Jahrtausendwende eine Neuerung hinzu, die alles Veränderte: Die Digitalisierung. Wie dies die Bibliotheksarchitektur beeinflusst und wieso die neu entstehenden Lernräume einen ersten Schritt ins Digitale Zeitalter sind, kommt im nächsten Blogbeitrag!
noah.regenass@unibas.ch