Der Duden beschreibt Agilität mit «von großer Beweglichkeit zeugend; regsam und wendig». Diese Wendigkeit ist der Ausgangspunkt für die Agilität, wie sie heute vermehrt in Unternehmen gelebt wird. Flexibel und wendig auf Veränderungen zu reagieren, sich möglichst sicher in komplexen und chaotischen Zusammenhängen bewegen zu können: das macht Agilität aus. Diese Haltung drückt sich heute in verschiedenen Konzepten, Prinzipien, Frameworks und Modellen aus – oftmals angepasst auf spezifische Branchen oder Anwendungsfälle. Diese Ansätze sollen weiterhelfen, wo bspw. die klassischen Methoden des Projektmanagements zu starr sind und zu weit in die unsichere Zukunft blicken – und deren Pläne somit zu wenig belastbar sind.
Der Ursprung
Agilität ist nicht nur ein Modewort, das in jüngster Zeit in immer mehr Management-Seminaren rund um die Welt aufgetaucht ist. Schon vor Jahrzehnten zeigte sich sowohl in der japanischen Industrie, als auch später in der IT-Branche, dass man mit den klassischen Verfahren an die eigenen Grenzen der Effizienz und der Effektivität stiess. Was die Industrie mit Ansätzen wie Kaizen zu lösen begann, führte die IT-Branche in ihrem eigenen Sinne weiter. So kam es, dass sich im Jahre 2001 verschiedene Vertreter aus der IT trafen, und das Agile Manifest als gemeinsamen Wertekanon formulierten:
- Individuen und Interaktionen werden höher geschätzt als Prozesse und Werkzeuge,
- Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation,
- Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung und
- Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans.
Diese Priorisierungen bedeuten nicht, dass bspw. eine Vertragsverhandlung unwichtig ist oder gar vermieden werden soll. Vielmehr ändert sich die Gewichtung: der Fokus liegt auf einer guten und engen Zusammenarbeit mit Kund:innen, die nicht von Unsicherheit, Misstrauen und rechtlicher Absicherung geprägt ist. Kund:innen sind Partner beim Erreichen eines gemeinsamen Ziels. Gleichzeitig ist man sich bewusst, dass ein Plan zwar eine gute Richtschnur sein kann, aber je länger er in die Zukunft reicht, desto eher ähnelt die Planung dem Lesen von Kaffeesatz. Es muss die Möglichkeit da sein, flexibel auf eintretende Veränderungen, auf neue Kundenwünsche oder Themen reagieren zu können. Veränderungen, die in einer schnelllebigen und komplexen Welt in immer schnellerem Rhythmus eintreten.

Stephen Denning formulierte in seiner Publikation The Age of Agile (2018) dazu drei prägnante Gesetze, die beschreiben, was ein agiles Unternehmen auszeichnet:
- Gesetz des Kunden: Wir legen den Fokus stets auf unsere Kund:innen, bestehende wie auch neue. Wir informieren uns über ihre Bedürfnisse, fühlen uns in sie hinein – aber sind uns auch bewusst, dass wir nicht immer alle zufriedenstellen können.
- Gesetz des Netzwerks: Alle wichtigen Informationen fliessen schnell dorthin, wo sie gebraucht werden, um rasch und effektiv auf Veränderungen reagieren zu können – auch zwischen verschiedenen Teams und losgelöst von einer klassischen Unternehmenshierarchie.
- Gesetz des kleinen Teams: Eine effektive und effiziente Zusammenarbeit zwischen allen Aspekten eines Prozesses findet im interdisziplinären Team und mit einer überschaubaren Anzahl Personen statt. Alle kennen das Ziel, alle kennen den Zeitplan, alle ziehen an einem Strang.
Ein agiles Unternehmen zu sein heisst also, dass wir die vorhandenen Energien und Ressourcen fokussieren, immer wieder Neues lernen, Potenziale zur Verbesserung entdecken und unsere Zusammenarbeit optimieren.
Was ursprünglich im IT-Bereich entstand, hat seit einigen Jahren immer grösseren Einfluss auch auf andere Wirtschaftsbereiche und Branchen. Die Dynamik der Digitalisierung im 21. Jahrhundert und die immer stärker werdende Verflechtung und Vernetzung bringen es mit sich, dass die Ausgangslage für Projekte komplexer bis hin zu chaotischer wird. Die Zahl der Unwägbarkeiten, der Kooperationspartner und der zu Informierenden wächst stetig, die Geschwindigkeit von Entwicklungen ist hoch. Wo aber diese Komplexität hoch ist, sind langfristige Pläne mehr Schein als Sein und bilden selten die Realität ab. Somit gibt es zwei Lösungen: Man versucht mit umfangreichen und langwierigen Vorstudien möglichst viel Wissen einzuholen, Risiken zu klären oder Details zu erarbeiten – mit der Gefahr, dass zu Beginn der Realisierung vieles davon bereits wieder veraltet ist oder aufgrund des Detailgrads der Planung eine Sicherheit vorgegeben wird, die so nicht existiert. Alternativ arbeitet man mit kurzen und flexiblen Planungshorizonten, so weit sie überschaubar sind. Man beginnt früh mit der Realisierung und arbeitet dabei nach dem Prinzip Build – Measure – Learn (entlehnt aus der Methodologie Lean Startup). Dabei bildet man Hypothesen, wie ein Problem gelöst, ein Service oder Produkt gestaltet sein könnte. Auf dieser Basis entwickelt oder formt man ein minimales Ergebnis, holt dazu Feedback ein und arbeitet dieses wiederum in die Weiterentwicklung ein. So kommt man in kleinen Schritten und über viele gezielte Anpassungen zu einem Ergebnis, das von Kund:innen gut angenommen wird – ohne zu viele Ressourcen in Irrwege zu investieren. Dieses Vorgehen bietet aber auch die Möglichkeit, ein Projekt abzubrechen, wenn sich nach kurzer Zeit herausstellt, dass das Kundenbedürfnis dafür schlicht fehlt.
Agil in einer Bibliothek?
Bibliotheken sind keine kommerziellen Unternehmen, die sich in ständigem Konkurrenzkampf auf dem freien Markt befinden. Dennoch trifft auch sie die Digitalisierung sehr stark. Sie haben digitale Medien in ihrem Bestand, beliefern Lehre und Forschung mit den neuesten Erkenntnissen aus ihrem Fach, sie bieten unzählige Dienstleistungen für verschiedenste Nutzergruppen und reagieren zeitnah auf neu auftauchende Bedürfnisse. Hinzu kommen vielfältig verflechtete Kooperationen auf regionaler und gar nationaler Ebene. Agile Prinzipien helfen hier, mit den eigenen Mitteln gezielt, effektiv und effizient neue Services und Produkte zu entwickeln. Auch die Universitätsbibliothek Basel begann vor einigen Jahren in der IT-Abteilung damit, Produkte mittels agiler Methoden zu entwickeln. Zum Einsatz kommt primär das Prozessframework Scrum. Damit arbeiten wir in Monatszyklen iterativ und inkrementell an Produkten wie dem Metakatalog swissbib, dem Digitalen Langzeitarchiv für unsere Kulturgüter und Digitalisate oder in verschiedenen Projekten mit Kund:innen. Auch bei der Erarbeitung der neuen Webseite der UB nutzten wir verschiedene Elemente aus Scrum.
Das damit erarbeitete Know How behalten wir jedoch nicht für uns. Die Zahl der Bibliotheken, die agile Methoden einsetzen, nimmt stetig zu und wir befinden uns in regem Austausch mit ihnen – sei es in gemeinsamen Gesprächen und Diskussionen, in der jüngst gegründeten Community of Practice “Agilität in Bibliotheken” oder auch im Rahmen einzelner Publikationen und Vorträgen. Getreu dem Motto der UB Für alle offen freuen wir uns auf den Erfahrungsaustausch mit weiteren “Agilisten” aus dem Bibliotheks- und Kulturinstitutionsumfeld.
beat.mattmann@unibas.ch