2020, was für ein seltsames Jahr. Nach einem harmlosen Start im Januar war ab Mitte März plötzlich alles anders und ich konnte bis am 17. Dezember meinem Namen nicht mehr gerecht werden. Ich war plötzlich nur noch ein Magazin, ohne «Frei» und ohne «Hand». Doch ich muss mit meiner Geschichte viel viel früher beginnen. Emanuel La Roche (ja der, der auch den Bahnhof in Basel gebaut hat) begann mit meinem Bau 1896. Meine Bedeutung ist auch darin zu erkennen, dass ich in diesem Blog schon mehrmals erwähnt wurde.
Nun gut, auf die Baugeschichte gehe ich nicht mehr im Detail ein. Jedenfalls rissen sie dann in den 1960er Jahren einen Teil von mir ab und bauten meine Konkurrentin, die Lesesaal-Kuppel. Seit damals stehe ich leider etwas im Schatten dieser architektonisch ach so interessanten auf sechs Punkten ruhenden Kuppel (aus sechs hyperbolischen Paraboloiden). Nur wahre Connaisseurs erkennen meinen Wert und meine einzigartige Schönheit.

Lange Zeit war ich auch einfach nur das Magazin, Bücher auf sechs Stockwerken und noch geschlossen für die Öffentlichkeit. Damit erklärt sich auch der von vorne etwas versteckte Eingang zu mir. Ich war auch beim Umbau in den 1960er Jahren nicht dafür vorgesehen, dass die Besucher*innen meine Räumlichkeiten betreten.
Erst 1995 hatte man die Idee, dass wohl weniger Arbeit anfallen würde, wenn die Benutzer*innen ihre Bücher selber holen. Mit dem Einzug der EDV durfte also auch ich eine neue Ära einläuten und meine Gänge wurden belebt von allerlei Menschen.
25 Jahre lang war ich es also gewohnt, dass jeden Tag die unterschiedlichsten Benutzer*innen über meine knarrenden Böden gehen, an der Signaletik verzweifeln, sich zwischen den Regalen auf den Fenstersimsen verkriechen und kurz vor 19 Uhr noch reinhuschen, um noch schnell ein Buch zu holen, obwohl der mahnende Finger des*der Bibliothekar*in schon auf die Schliessung hingewiesen hat.

Und dann plötzlich das. Am Montag 16. März 2020, als die ersten Mitarbeiter*innen schon die Bestellungen holten und noch alleine durch die Gänge schlichen, machte ich mich für die Öffnung um 8 Uhr bereit. Doch es passierte nichts. Das gewohnte Geräusch der Holztür, die verschoben wird, blieb aus. Es kam niemand. Ich hörte die Mitarbeiter*innen reden: «Und was jetzt?» «Das ist ja unglaublich» und «Das gab’s noch nie».
Plötzlich meinte ich zu verstehen: Man wollte mich für immer schliessen. Ich wurde nicht mehr gebraucht und würde nun vermutlich auch bald abgerissen. Aber bald nahm ich zur Kenntnis, dass nicht Bücherwürmer oder Termiten das Problem waren, sondern eine globale Gesundheitskrise. Die Welt würde nie mehr so sein, wie sie war. Das geht auch an einem Freihandmagazin wir mir nicht spurlos vorbei.
Bald schon hatte ich nur noch Mitarbeiter*innen um mich, die mit Tüchern ums Gesicht arbeiteten und so viel zu tun hatten, dass in den Gängen immer weniger geschwatzt wurde. Kurz: Mir wurde langweilig. Bis ich Ende August von einem lauten Bohren erwachte, dass bis Ende November immer mal wieder an meinen Nerven zehren sollte. Des Öfteren kamen nun Gruppen von Personen rein, die ich nicht kannte und die über mich redeten, sie hatten Blöcke und Pläne dabei. Und bald kamen solche mit schweren Geräten und Maschinen und fingen rund um mich zu bauen an. Offenbar wollte man mich aber nicht abreissen, sondern nur verschönern. Wenn sie denken, dass ich das nötig habe, nun gut.

Was ich aber mit Genugtuung hörte, war, dass mit einem Presslufthammer die alte unförmige und unpraktische Theke abgerissen wurde. Halleluja, das wurde aber auch Zeit. Das war schon bei meiner Öffnung nicht mehr zeitgemäss, damit hat man ganz schön lange zugewartet.
In meinem Gemäuer wurde dann aber nicht viel gebaut, sondern nur meine Schönheit noch unterstrichen. Es machte mich doch ein bisschen stolz, dass man der Meinung war, dass ich ebenso viel zu bieten hatte wie die eingebildete Kuppel, die über dem Lesesaal thront, als wäre sie eine Königin.
Aufgeregt fieberte ich auf diesen 17. Dezember hin, von dem die Mitarbeiter*innen immer sprachen. Dann sollten meine Toren endlich wieder geöffnet werden. Ich freue mich auf den Tag, wenn der*die erste Benutzer*in über den neuen Teppich vor meinem Eingang hineinspaziert kommt, sich in einen der gemütlichen Lesesessel mit den farbigen Teppichen setzt, die an meine Bücherregale erinnern, vielleicht einfach mal in Ruhe durchatmet und der komischen Welt da draussen entfliehen kann. Ich bin gespannt, was die Benutzer*innen über die neuen Stühle, Tische und Lampen sagen werden.

Und vor allem gespannt bin ich auf die Reaktionen der Mitarbeiter*innen der Info und Ausleihe, wenn sie die neue Theke beziehen. Schon nach ein, zwei Tagen wird man sich wohl kaum mehr daran erinnern, wo die alte schwerfällige Theke früher mal stand. Die neue Offenheit soll einladen, und die Benutzer*innen sollen sich wohlfühlen. Ich freue mich auf euren Besuch. Wer weiss, wie lange ich geöffnet bleiben darf. Aber in diesen schwierigen Zeiten sollten wir keine Forderungen stellen, sondern demütig sein und daran denken, dass anderswo das Elend grösser ist. So, nun muss ich mich aber parat machen für meinen grossen Tag. Wäre ja noch schöner, wenn ich mich morgen nicht in meinem besten Tenue zeigen würde.
simone.gloor@unibas.ch