Das Auffinden, Ausleihen und Konsultieren von Medien ist heute eine alltägliche Sache, über die wir uns kaum den Kopf zerbrechen. Mit einigen wenigen Mausklicks wird das Buch in Bibliothekskatalogen gefunden und angezeigt. Danach lässt sich der Titel entweder bequem downloaden-, oder er steht in den Magazinen parat. Noch vor wenigen Jahrzehnten galt es für die Literaturrecherche raumfüllende Zettelkataloge zu konsultieren. Die Recherche sowie das Auffinden von Medien war damals vielleicht nicht unbedingt komplexer, zumindest aber zeitintensiver. Wie war es denn aber im 16. Jahrhundert? Unmittelbare Zeugnisse zur Wissensorganisation und zur Bücherausleihe sind in jener Zeit eher spärlich. Bibliotheksstatuten können dabei etwas Abhilfe schaffen, doch einen Einblick in die tägliche Praxis gewähren auch sie nicht. Ein Brief, aufbewahrt an der UB Basel (Signatur UBH G II 33:Bl.72), bringt allerdings Licht ins Dunkel und ist genau darum ein wahres Schmuckstück. Die geradezu hingeworfenen Zeilen führen auch noch nach fast 500 Jahren plastisch vor Augen, wie sich die Studenten (Studentinnen gab es an der Uni Basel damals noch nicht) organisierten, um an ein wichtiges Buch zu kommen. Doch lassen wir den Autor, einen gewissen Balthasar Haberstock, sprechen, der in Basel zwischen 1562 und 1564 diesen Brief an seinen Freund und Kommilitonen Hermann Schliniger schrieb:

- S. Mein lieber Schlieninger es ist der Cassotus
- beÿ mir gsein vor D. Sulceri Huss do hab ich im
- die Declamationen geheÿschen do hatt er gsagt
- er wöll mir sÿ vff morgens welcher ist
- gsein vff donstag mir die declamationen
- bring[en], diewÿl ich aber nitt
alheÿmschdo - heÿmens sein würd hab ich im gesagt, er
- soll sÿ dir geben do hatt er gesagt Ja
- er wöll sÿ dir geben, derhalben
- so er sÿ dir geben wirtt so bitten ich
- dich du wöllest sÿ dem Theophilo geben
- vnd im sagen er söll sÿ gschwind ab-
- schrÿben und sÿ darnach dem Mollingero
- wider geben vnnd im grossen danck von
- minetwegen
sagsagen, derhalben wo ichdich - dir einander mol dienen khan wil ich von hertzen
- gern thuon (vnd lieber thuons noch vff hütt don
nnersstag) - vnd der gÿsing wirtt dir meine Annotationes
- auch lÿhen wen ers abgschrÿben hatt vnd du sÿ
- begerst etc. Vale, Lieber ghör flÿß
- an. Es stat
ochzu verdienen. Balthasar Haber- - stock Langendentz bing
- ensis
Betrachtet man Haberstocks Handschrift ist ihre Unregelmässigkeit augenfällig. Die Interpunktion und die Abkürzungen sind hingegen für das 16. Jahrhundert standardmässig gesetzt. Die verschiedenen Wiederholungen und Zeitangaben machen den Text allerdings nicht leicht verständlich. Man möchte meinen, dass Haberstock beim Schreiben in Eile war. Doch gehen wir den Text nochmals der Reihe nach durch, um den Inhalt ganz zu erfassen:
Haberstock beginnt seinen Brief nach einer kurzen Anrede (S. steht für Salutem) ohne grosse Umschweife: Offenbar hat er einen gewissen Cassotus vor dem Haus des Antistes Simon Sulzer getroffen, dem er das Buch mit den „Declamationen“ mitgegeben hat. Dies geschah offenbar an einem Mittwoch. Cassotus versprach Haberstock bei der Übergabe des Buches, dass er es ihm gleich am nächsten Tag (folglich also einem Donnerstag) zurückgeben werde. Da aber Haberstock am Donnerstag nicht daheim ist, beauftragte er Cassotus das Buch gleich direkt an Hermann Schliniger (den Adressaten des Briefs) auszuhändigen. Cassotus will dies so erledigen.
Haberstock fährt fort: Schliniger solle die «Declamationes», nachdem er diese von Cassotus erhalten und gelesen hat, gleich an Theophil Mader weitergeben. Theophil wiederum, so Haberstock, müsse das Buch danach bitte möglichst schnell abschreiben und es an Nikolaus Mollinger zurückgeben und ihm dafür danken. Offenbar gehörte das Buch also dem Mollinger, der es in die Runde gegeben hat.
Nun wendet sich Haberstock direkt an den Adressaten des Briefs, an Hermann Schliniger: Er werde Schliniger weiterhin jederzeit von Herzen gerne behilflich sein. Danach kommt eine bemerkenswerte Klammer, worin Haberstock präzisiert: Er helfe Schliniger auch gleich heute Donnerstag. Es scheint, so kann man interpretieren, dass der Autor beim Schreiben bemerkte, dass er bei den Zeitangaben ein Wirrwarr gemacht hat und deshalb nun nochmals den aktuellen Tag benennt. Vielleicht war er in Eile, weil er vermeiden wollte, dass Schliniger ihn vergebens zuhause aufsucht, da ihm ja Cassotus das Buch direkt vorbeibringt.
Doch damit nicht genug; noch mehr Bücher waren im Umlauf: Ein gewisser Hieronymus Gysin, so Haberstock, schreibe aktuell seine Ausgabe der Annontationes ab. Aber der Gysin werde Haberstock das Buch gerne bei Bedarf übergeben. Gegen Ende wird die Schrift immer «schludriger»; kurz und knapp endet der Brief mit einem Vale – einem «Lebe wohl» – oder in neudeutsch: Viele Grüsse.
Der Brief ist nicht nur ein eindrückliches Zeugnis der Bücherausleihe unter Studenten im 16. Jahrhundert, sondern auch ein spannendes Beispiel, wie diese miteinander per Brief kommunizierten.