Bilder-Verwandlungsbücher – Stiefkinder der Buchforschung

Sie sind ein Rarissima erster Güte und bei Buch- und Manuskriptexperten so gut wie unbekannt. Weltweit sind nur drei handgemalte Exemplare vor 1750 nachweisbar. Und sie gehören wahrscheinlich zu den skurrilsten und unbekanntesten Buchformen [1]. Die Rede ist von sogenannten Bilder-Verwandlungsbüchern, die im deutschen Sprachraum auch als Gauckel-Buch, Magisches Buch, Vexierbuch, Wunderbuch oder Zauber-Bilderbuch bezeichnet werden. Der verstorbene Zauberkünstler und Historiker Ricky Jay – Verfasser der ersten, 1994 erschienenen Monografie über Bilder-Verwandlungsbücher – schreibt dazu [2]:

In seinem Werk „De Subtilitate“ (Nürnberg 1550) beschreibt der italienische Gelehrte Girolamo Cardano (1501–1576), wie der zum Gefolge Kaiser Karl V. gehörige Taschenspieler Damautus „variierende Bilder in ein und demselben Buch zeigt“. Abbildung: Wellcome Collection (gemeinfrei).

„Many of these volumes were produced without a word of text and their magical properties would go unrecognized, even by those very knowledgeable about other kind of books. In spite of their long and continuous history, they have never been the subject of serious study by scholars of magic, iconography, children’s literature, or the history of the book.“

Zum ersten Mal detailliert beschrieben wurden Verwandlungsbücher im Jahre 1584 durch den Engländer Reginald Scot [3] sowie den Franzosen Jean Prévost [4]; zum ersten Mal erwähnt hingegen bereits 1550 vom italienischen Arzt, Philosophen und Mathematiker Girolamo Cardano in seinem Werk De Subtilitate.

Seit damals – zweifelsohne aber noch viel früher – haben Gaukler, Taschenspieler und Zauberkünstler Bilder-Verwandlungsbücher als Trickinstrument verwendet, um ihrem Publikum ein höchst seltsames Kunststück vorzuführen. Auf wundersame Weise konnten sie damit unterschiedlichste Bildmotive erscheinen und wieder verschwinden lassen: Tiere, Blumen, Spielkarten, Münzen, Textseiten, Waffen, Soldaten, Fabelwesen, Landschaften und viele andere mehr. Als Teil einer Zaubervorstellung wurde dieses Kunststück in allen Gesellschaftskreisen vorgeführt: auf festlichen Anlässen in Königs- und Fürstenhäusern, auf den in adligen Kreisen so beliebten Abendgesellschaften (Soiréen), auf Jahrmärkten, Messen, in Wirtsstuben oder auf der Straße. Die heute noch existierenden handgemalten Verwandlungsbücher des 16. bis frühen 18. Jahrhunderts – bekannt sind deren drei – gehören somit nicht nur zu den seltensten, sondern auch zu den ältesten, erhalten gebliebenen Zauberkunststücken überhaupt.

„Der Markschreier mit dem Zauberbuch“ – Xylografie, 19. Jahrhundert (Ausschnitt), Künstler und Quelle unbekannt.
Abbildung: Sammlung Christina und Volker Huber, Offenbach.

Das tricktechnische Geheimnis dieser Illusion beruht auf dem bekannten Prinzip eines Griffregisters, wie wir es heute noch bei umfangreichen Adressbüchern, Nachschlagewerken und Produktkatalogen antreffen. In ähnlicher Art sind auch die Seiten eines Verwandlungsbuches präpariert. Dazu werden mehrere rechteckige, runde oder schräge Einschnitte an den vorderen Seitenrändern ausgestanzt, wodurch am Vorderschnitt des Buchblockes Registerzungen (Taben) oder Eintiefungen (Fingerhohlräume) entstehen. Die dadurch gebildeten Griffmulden bzw. Griffflächen erlauben es dem Zauberkünstler, das Buch mit seinem Daumen so zu greifen, dass beim Durchblättern ein ganz bestimmtes, von ihm gewünschtes Bildmotiv erscheint. Da eines der Bildmotive eine leere, unbemalte Doppelseite darstellt, kann der Zauberkünstler durch das Greifen der einen oder anderen Griffmulde das Buch abwechslungsweise bemalt oder vollständig leer vorzeigen. Für das Publikum: ein verblüffender Effekt. Und für den Zauberkünstler: begeisterter Applaus!

Beispiel eines handgemalten, über 300 Jahre alten und mit „Livre Magique“ betitelten Bilder-Verwandlungsbuches (Belgien, um 1700). Am Außensteg der Seiten sind die halbmondförmigen Einschnitte eines Daumenregisters zu erkennen. Fotos: Thomas Stauss.

Obschon Bilder-Verwandlungsbücher seit über 450 Jahren zum Trickrepertoire von Gauklern, Taschenspielern und Zauberkünstlern gehören, konnte sich bis heute kein einheitlicher Fachbegriff dafür durchsetzen [5]. Die Bezeichnungen sind nicht nur innerhalb einer Sprachregion sehr unterschiedlich, sie weichen auch zwischen den Sprachregionen beträchtlich voneinander ab.

Neben der bereits oben erwähnten Terminologie für den deutschen Sprachraum hat sich im angelsächsischen Raum der Begriff Blow Book etabliert, weil der Vorführende durch das rituelle Anblasen (engl. „blowing“) des Buches scheinbar die Bild-Umwandlung bewirkt. Flick Book oder Flip Book sind zwei weitere, häufig verwendete Termini, die sich vom Verb „to flick“ bzw. „to flip“ ableiten, was so viel wie „schnelles Durchblättern“ bedeutet. Häufig wird diesen Bezeichnungen das Wort „magic“ vorangestellt wie beispielsweise Magic Blow Book. Ebenfalls benutzt wird Magic Picture Book oder in neuerer Zeit die Bezeichnung Magic Coloring Book bei Verwandlungsbüchern für Kinder. Weitere Benennungen sind Livre Magique und Ambigu Magique (FR), Libro Magico (IT), Libro de Mágica (ES) oder Toverboek (NL).

Eine der frühesten Schilderungen, welche die Präsentationstechnik eines Verwandlungsbuches detailliert beschreibt, hat uns der wohl bekannteste deutsche Dichter des Barocks, Johann Jacob Christoph von Grimmelshausen (1621–1676), in seinem Schelmenroman Der seltzame Springinsfeld (1670) hinterlassen. Springinsfeld, der Hauptprotagonist dieses Romans, schildert in der Ich-Erzählform episodenhaft sein abenteuerliches Leben als Soldat während den Wirren des 30-jährigen Krieges. In einer dieser Episoden (VII. Capitel) spielt das Bilder-Verwandlungsbuch – von Grimmelshausen Gauckeltasche genannt – eine gewichtige Rolle. Geschildert wird darin die Vorführung eines Verwandlungsbuches durch Springinsfelds Kriegskameraden: Simplicissimus. Die folgende, beispielhafte und paraphrasiert widergegebene Szene beschreibt, wie Simplicissimus sein Verwandlungsbuch inmitten einer riesigen Menschenmenge auf einem Marktplatz vorführt:

Simplicissimus befahl dem Springinsfeld jetzt zu schweigen, damit auch er dem Volke nunmehr seine Meinung vorbringen könne. Zu den Herumstehenden sagte er: „Ihr Herren, ich bin kein Marktschreier, kein Pfuscher, kein Quacksalber und auch kein Arzt, sondern ein Künstler! Ich kann zwar nicht Hexen, aber meine Künste sind so wunderbar, dass sie von vielen für Zauberei gehalten werden. Dass dies aber nicht wahr ist, sondern meine Kunststücke auf natürliche Art und Weise zustande kommen, kann ich Euch mit meinem Buch zeigen.“

Daraufhin zog Simplicissimus ein Buch [Bilder-Verwandlungsbuch] aus seinem Sack und blätterte darin herum, um dem Publikum zu beweisen, dass es sich um ein leeres Buch mit lauter weißen Seiten handelte. Simplicissimus fragte die Umstehenden: „Ist kein Gelehrter unter Euch, der mir einige Buchstaben in mein Buch hineinblasen könnte?“ Und da vor ihm zwei verdutzt dreinschauende Männer standen, bat er den einen, er solle ihm ein wenig aufs Buch blasen, mit der Versicherung, dass dies weder seiner Ehrbarkeit noch seiner Seligkeit schaden würde. Nachdem er solches getan, blätterte Simplicissimus im Buch herum und siehe da, es erschienen nichts als lauter Abbildungen von Gewehren und Waffen. „Hoppla“, sagte Simplicissimus, „diesem Kavalier gefallen Degen und Pistolen offenbar besser als Bücher und Buchstaben; es scheint so, als ob er eher ein braver Soldat werde als ein Doktor. Aber was soll ich mit einem Gewehr in meinem Buch? Es muss wieder verschwinden!“ Sogleich blies Simplicissimus selbst auf das Buch und präsentierte es dem Publikum wieder mit leeren, weißen Blättern, worüber jedermann sehr verwundert war.

Der Kupferstich aus der zweiten Gesamtausgabe der Grimmelhausen’schen Werke von 1683/84 zeigt Springinsfeld als zerlumpten Bettler inmitten seiner Musikinstrumente. Ebenfalls dargestellt sind zwei Verwandlungsbücher: Das eine liegt neben der Trommel rechts, das andere in der linken unteren Bildecke zusammen mit zwei weiteren Zauberkunststücken – dem Becherspiel und einem dreieckförmigen Zauberschloss. Abbildung: akg-images.

Wer übrigens die von Springinsfeld erzählte Episode zu Ende liest erfährt, dass die Präsentation des Bilder-Verwandlungsbuches nur den Auftakt einer ausgeklügelten und raffinierten Verkaufsinszenierung bildete. Denn kurz danach folgt schon der nächste Streich: Simplicissimus lässt sein Publikum ein weiteres Mal staunen und verkündet, dass er über ein „Elixier“ verfüge, welches schlechten, schimmlig riechenden in guten, nach Muskat riechenden Wein verwandeln könne. Trinkproben werden ins Publikum gereicht und von den begeisterten Probanden mit Wonne getrunken. Der Erfolg bleibt nicht aus: Simplicissimus’ Elixier wird zum Verkaufsschlager und am Ende des Tages hat er für 130 Reichstaler seine sämtlichen Elixierfläschchen verkauft. Die Episode endet schließlich mit der lapidaren, von Simplicissimus an Springinsfeld gestellten Frage: „Siehst du nun, womit ich mich mein Geld verdiene?“

Thomas Stauss

Literatur

[1] Schulz, Christoph Benjamin (2015): Poetiken des Blätterns, Hildesheim–Zürich–New York, S. 101.

[2] Jay, Ricky (1994): The Magic Magic Book: An Inquiry into the Venerable History & Operation of the Oldest Trick Conjuring Volumes, Designated “Blow Books”, 2 Bände (Textband & Verwandlungsbuch), New York, S. 2.

[3] Scot, Reginald (1584): The discoverie of witchcraft, Wherein the lewde dealing of witches and witchmongers is notablie detected, London, Chapter XXXIII.

[4] Prévost, Jean (1584): La première partie des subtiles, et plaisantes inventions. Contenant plusieurs jeux de recreation, & traicts de souplesse, par le discours desquels, les impostures des Bateleurs sont descouvertes, Lyon, S. 56v–60r.

[5] Huber, Volker (2005): Die wunderliche Gauckeltasche, in: Lust und List im AugenBlick: Sammlung Werner Nekes, Katalog zur Sonderausstellung im Barockmuseum Salzburg vom 27. März bis 28. August 2005 (Barockberichte, Band 40/41), Salzburg, S. 720–724.

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