Am 17. September findet im Lesesaal der UB Basel im Rahmen des Festivals „Zeiträume Basel. Biennale für Neue Musik und Architektur“ ein Konzert statt. Der Lesesaal wird somit zum ersten Mal Ort einer musikalischen Darbietung mit dem vielversprechenden Titel „Skript“. Mehr dazu erfahren Sie auf unserer Website. Auf unserem Blog werden im Hinblick auf das Konzert bestimmte Aspekte zur Architektur und der Musik besprochen.
Text und Interview von Johanna Lamprecht
SKRIPT ist vom Lateinischen „skriptum“ abgeleitet und bedeutet geschrieben. Der Schreibprozess ist für die Schweizer Komponistin Barblina Meierhans etwas sehr Menschliches, da wir uns über Geschriebenes in Zeichen ausdrücken können und somit auf Oberflächen von Papier, Stein und Pergament Spuren hinterlassen. Für SKRIPT leitet die Komponistin ihr Klang- und Geräuschmaterial vom Schreibprozess ab und wird neben Lauten und Tönen u.a. auch Bücherseiten, Pergament und Graphit kompositorisch verarbeiten. Dabei setzt Barblina Meierhans nichts zusätzlich in Szene, sondern lässt das Ensemble bestehend aus 6 Sänger*innen und 4 Schlagwerkern mit den Materialien und der Architektur des Lesesaals der Universitätsbibliothek Basel in Interaktion treten.
Wir haben als wohlgemerkt geschriebenen und nicht-klingenden Vorklang auf diese Uraufführung innerhalb des ZeitRäume Festivals 2021 Menschen, die im Lesesaal arbeiten, gefragt, welche klanglich-architektonischen Besonderheiten diesen auszeichnen – kurzum, wie der Lesesaal für sie persönlich im gewöhnlichen Bibliotheksbetrieb klingt.

Herr Regenass, Sie sind Fachreferent für Architekturgeschichte an der Universitätsbibliothek Basel. Welche architektonischen Merkmale finden wir im Lesesaal, der von 1962-1968 von Otto Senn (Architekt) und Heinz Hossdorf (Ingenieur) erbaut wurde, wieder?
Noah Regenass: Der Lesesaal ist als grosser zentraler Raum unter einer Kuppel konzipiert. Seit spätestens dem 18. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart ist die Kuppel eine der wichtigen Charakteristiken von Bibliotheksbauten. Senn folgte bei der Konzeption der Kuppel den Prinzipien des Funktionalismus, das heisst alle ästhetisch-dekorativen Elemente treten zurück, die Stützpfeiler und der Sichtbeton werden in ihrer Funktion als statisches Element hervorgehoben, der farbliche Akzent liegt auf den Büchern und den Regalen.
Architektonisch ist insbesondere die auf sechs Punkten ruhende Kuppel des Lesesaals besonders. Waren akustische Gegebenheiten für Otto Senn und Heiz Hossdorf in dessen Konzeption und Umsetzung leitend?
Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass bei der Konstruktion der Kuppel Tonkonzepte keine Rolle spielten. Dies bedeutet aber nicht, dass der Einbezug von Klang im Lesesaal gänzlich ignoriert wurde. Unter den beiden Treppen zur Galerie liess Senn jeweils einen Brunnen einbauen, das Plätschern sollte für eine beruhigende Lernatmosphäre sorgen. Tatsächlich hat man in den 50igern und 60iger Jahren immer wieder versucht, Brunnen in Lesesälen von Bibliotheken einzubauen. Funktioniert hat dies nirgends, auch an der UB Basel nicht, da das Plätschern stets als störend empfunden wurde.
Urs Alexander Kaegi, Sie arbeiten heute im Lesesaal der Universitätsbibliothek. Wie würden Sie Ihr akustisches Umfeld beschreiben während Sie lesen, grübeln, tippen und denken?
Urs Alexander Kaegi: Zunächst einmal beginnt jeder Ausflug in den Lesesaal mit einem klanglichen Übergangsritus: Sobald sich die elektronischen Türen mit einem beissenden Piepton öffnen, empfängt mich ein Wall aus Klang der Lüftungsanlagen am Eingang. Nachdem man auf dieser Welle aus Luft gesurft ist, tritt das Strömungsgeräusch in den Hintergrund und ein verschämtes Klicken, Rascheln und Klopfen, das einem menschlichen Tröpfeln ähnelt, übernimmt die klangliche Oberhand.
Wieweit beeinflusst diese akustische Landschaft Ihren Arbeitsprozess?
UAK: Das Rauschen der Luft wirkt erhebend und inspirierend für den Arbeitsprozess. Da Denken viel mit dem Element der Luft zu tun hat, passt die Luftbrause an der Eingangsschwelle hervorragend zum Lesesaal. Licht, Luft und Farben kreieren ein Environment wie in einem Gemälde. Leider ist der soziale Raum bis auf peinliche Störgeräusche klanglos – hier könnte man sich noch etwas Resonanz stiftendes einfallen lassen.
Alice Tran, Sie sind Restauratorin und arbeiten täglich im stillen Beisein von zahlreichen Büchern aus mehreren Jahrhunderten. Kann man sagen, dass sich der Klang des Papiers über die Jahrhunderte verändert hat?
Alice Tran: Das kann man tatsächlich so sagen. Der Klang des Papiers ist für uns Konservatoren/Restauratoren ein wichtiges Merkmal um die Beschaffenheit des Papiers zu beschreiben. Durch die verschiedenen Materialien wie auch die unterschiedlichen Leimungen erhält das Papier einen individuellen Klang. Ist es zum Beispiel stark geleimt tönt es lauter und härter als ungeleimtes Papier.
Wenn Sie sich nun vorstellen, dass am 17.9.2021 für die Uraufführung von SKRIPT der Lesesaal nicht von Studierenden und Forschenden, sondern von 6 Sänger*innen und 4 Schlagwerkern bevölkert wird: Auf welche Klänge sind sie gespannt?
Wenn wir Bücher konservatorisch sichern und uns während dem Bearbeiten nicht viel Zeit bleibt den textlichen Inhalt zu lesen und zu studieren, fände ich es interessant den Inhalt zu vertonen. Und ich bin gespannt, den Lesesaal einmal in einem anderen akustischen Gewand zu erleben!
Der Text entstand im Rahmen des CAS-Lehrgangs „Curating Contemporary Music“ an der Hochschule für Musik FHNW