Die Philosophin Margarete Susman war eine eigenwillige Persönlichkeit und einflussreiche Stimme der jüdischen Geistesgeschichte und des frühen Feminismus, doch in den letzten Jahrzehnten wurde sie fast vollständig vergessen. Dabei war sie eine der produktivsten deutschsprachigen Intellektuellen des vergangenen Jahrhunderts und stand im regen Austausch mit zahlreichen geistigen Grössen aus Deutschland und der Schweiz. Ihre gesammelten Schriften allein umfassen 2900 Seiten (sie erscheinen Anfang November im Wallstein Verlag). Darüber hinaus hat Susman umfangreiche Korrespondenzen betrieben, die in unterschiedlichen Archiven (zum Beispiel im Literaturarchiv Marbach) aufbewahrt werden. Die UB Basel hat neben den Schriften von Susman auch einige Briefe im Bestand.

Margarete Susman wurde 1872 in eine gutbürgerliche Familie in Hamburg geboren und verbrachte ihre Jugend in Zürich. Ihr Vater verbot ihr das Studium, sie nahm es aber nach seinem Tod auf und reiste dafür unter anderem nach Düsseldorf, Paris und Berlin. Dort lernte sie Mitglieder des George-Kreises kennen: Ernst Bloch, Gustav Landauer, Else Lasker-Schüler und Georg Simmel sowie Martin Buber. 1906 heiratete sie Eduard von Bendemann und lebte mit ihm in Säckingen. Sie arbeitete unter anderem für die Frankfurter Zeitung. 1928 liess sie sich scheiden und lebte bei ihrer Freundin Edith Landmann in Basel und später in Frankfurt am Main. In der Silvesternacht von 1933 auf 1934 reiste sie in die Schweiz ein, da sie den Nationalsozialismus in Deutschland als zunehmend belastend wahrnahm: „Als ich im Sommer 1933 meine eigentliche Heimat verließ, tat ich es vor allem als Deutsche, die dieses neue Deutschland nicht ertragen konnte“ (Susman, Margarete. Ich habe viele Leben gelebt. Stuttgart 1964. S. 80). Trotz eines Verbotes von politischen Reden und Publikationen durch die Fremdenpolizei war sie mit dem Theologen Leonhard Ragaz für die Zeitschrift „Neue Wege“ tätig und veröffentlichte ihre Artikel teilweise unter einem Pseudonym, bis sie 1946 ihr Buch „Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes“ veröffentlichen konnte. In ihrem Werk zeigt sich Susman als rege intellektuelle Zeugin der westlichen Welt, die sich durch zwei Weltkriege drastisch veränderte. Ihre Essays beschäftigen sich mit den grossen Fragen und Werken ihrer Zeit, seien es Bücher zur modernen Lyrik, zur politischen Stellung der Frau, zu Frauen der Romantik, religionsphilosophischen Fragen und, eines ihrer wichtigsten Werke, zum Buch “Hiob” und dem jüdischen Schicksal. Susman starb 1966 in Zürich.
Mit Basel verband Susman einiges. Viele Jahre hat sie in Säckingen und später in Basel gelebt. In dieser Zeit hat sie für die Frankfurter Zeitung geschrieben. In ihrem Artikel “An der Grenze”, der am 24. Dezember 1922 erschien, diente ihr Basel als schillerndes Gegenbild zur deutschen Lebensrealität, die von der trostlosen Wirtschaftssituation geprägt schien. Eine Zugfahrt und der anschliessende Spaziergang durch die Stadt bildeten dabei die Rahmung ihrer Gesellschaftsanalyse und des Vergleichs zwischen deutschen Städten und Basel:
“Als ich mich später in Basel durch die Passsperre gewunden hatte, stand ich in einer anderen Welt. Helle, breite Strassen, sorgfältig gekleidete, wohlgepflegte, frische Menschen mit rosiger Haut, elegante Frauen in modischen Kostümen, dazwischen die schmalen und doch vollen schönen Baseler Mädchengesichter mit den klaren Augen. Der Polizist, den ich nach dem Wege frage, greift wohltuend höflich an das Käppi und weist mich zuvorkommend zurecht.”
Auch das Angebot in den Schaufenstern ist für sie überwältigend: “Und das alles für die Weihnachtskäufer ausgezeichnet mit so kleinen Zahlen, dass man, wenn man nur einmal das klein gedruckte Fr. dahinter übersieht, wirklich glauben könnte, man sei plötzlich in dem Land, wo einem die gebratenen Tauben um ein kleines in den Mund fliegen müssten.”
Sie rundet ihr positives Urteil zu Basel schliesslich auch auf architektonischer und kultureller Ebene ab:
“Schön ist diese Stadt, die so silbern über dem lichten ziehenden Grau des Rheins aufsteigt – so fest und klar über ihrem verschwimmenden Spiegelbild in dem rasch dahinfliessenden Wasser ruht – mit ihren ernsten alten Strassenzügen und breiten Brücken und geraden friedlichen Bürgerhäusern von edler alter Form, wo alles von gepflegter Tradition und langer geistiger Vergangenheit redet. Und die Menschen hier scheinen wie in einem stillen heiteren Traum zu leben.”
Susman führte eine breite Korrespondenz und pflegte ihr intellektuelles Netzwerk. Gegen Ende ihres Lebens und schon von fortgeschrittenem Augenleiden beeinträchtigt, knüpfte sie Kontakt mit der in Basel lebenden jüdischen Historikerin Selma Stern. Die Wertschätzung und gegenseitige Hochachtung, welche die beiden Frauen, die zu den prägenden Denkerinnen des 20. Jahrhunderts gehören, einander entgegenbringen, ist in den erhaltenen Briefen deutlich zu erkennen. Die zahlreichen Zusendungen an Selma Stern sind in der Handschriftensammlung der UB Basel zu finden und bieten in ihrer Materialität weitere spannende Zugänge. Susmans Handschrift ist grosszügig geschwungen, lässt aber zunehmend das Fortschreiten ihrer Augenkrankheit erkennen. Einige Briefe sind aber auch getippt und lediglich handschriftlich signiert. Stern war eine promovierte deutsch-jüdische Historikerin aus Kippenheim, Baden, die in Berlin an ihrer Quellenedition zu “Der Preussische Staat und die Juden” arbeitete, bevor sie vor den Nationalsozialisten in die USA floh. Dort war sie 1951 Gründungsmitglied des Leo Baeck Instituts (LBI) in New York. Margarete Susman diktierte 1964 ihre Autobiografie für das LBI. 1960 zog Selma Stern nach Basel zu ihrer Schwester Margarete Horowitz und blieb dort bis zu ihrem Tod 1981. Hier beendete sie auch die Arbeit an ihrer Quellenedition. Die erhaltenen sechs Briefe wurden von 1962 bis 1965 von Susman verfasst. Aus ihnen geht hervor, wie sehr die beiden Frauen die Arbeit der jeweils anderen schätzten. Susman bedankt sich 1965 für Rosen und die lieben Worte von Stern, während sie ihre Hoffnung ausdrückt, dass diese ihren Plan, sie bald zu besuchen, umsetzen möge. Zu diesem Zeitpunkt ist Selma Stern 85, Susman 93 Jahre alt. Die Rosen waren Ende September, also vor ihrem Geburtstag, versandt worden, denn nach ihrem Geburtstag bedankte sich Susman für eine weitere “Gabe und gute Wünsche”, die Stern ihr geschickt hatte. Am 15.3.1964 schreibt sie: “Auch ich habe mir so oft gewünscht, Sie kennen zu lernen (…).” Selma Sterns Briefe an Susman sind wiederum im Literaturarchiv Marbach zu finden.
Catrina Langenegger; c.langenegger@unibas.ch & Kathrin Schwarz; kath.schwarz@gmx.de